Wenn man von Eutingen kommend auf der B28 nach Bildechingen fährt, liegt rechter Hand ein ganz außergewöhnliches Biotop: die
Seehalde.
Dieser keilförmige, nach Süden exponierte Hang beginnt am Abzweig der Kreisstraße 4718 nach Talheim und wird im Westen von der K4708 begrenzt. Die Steilheit des
Hangs machte es notwendig Terrassen anzulegen, um das Gelände landwirtschaftlich nutzen zu können.
Empfehlung:
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Schlehe und Weißdorn, durchsetzt mit weiteren Gehölzen, die auf den Terrassenkanten gedeihen, veranschaulichen diese Struktur. Die Hecken bieten hier, verbunden mit
artenreichen Blühwiesen, u.a. dem Neuntöter Lebensraum.
Neuntöter ernähren sich hauptsächlich von Insekten. Die extensiv bewirtschafteten Wiesen im Kernbereich der Seehalde bieten den Insekten reichlich Nahrung. So kann
man den Neuntöter am besten hier bei der Jagd beobachten.
In den vergangenen Jahren konnten vier Brutpaare beobachtet werden, die erfolgreich Jungtiere aufzogen.
Der Name „Neuntöter“ ist mythischen Ursprungs. Genau genommen gehört der Neuntöter zur Familie der Würger. Das sind Vögel, die unverdauliche Bestandteile ihrer Beute wieder herauswürgen. Und so ist ein weiterer Name dieses Vogels „Rotrückenwürger“.
„Neuntöter“ haben die Menschen diesen Vogel genannt, weil er die Eigenheit hat, einen Teil seiner Beute auf Stacheln und Dornen aufzuspießen. Früher glaubte man, dass er zunächst neun Beutetiere
aufspießt, bevor er frisst.
Doch dieses Verhalten ist eher mit dem Anlegen einer Speisekammer vergleichbar. Auch an kühlen Regentagen, an denen wenig Insekten unterwegs sind, haben die Jungvögel Hunger. Da ist es
überlebenswichtig, auf die aufgespießten Insekten zurückgreifen zu können.
Eine typische Sichtung des Neuntöters auf der Seehalde. Das Männchen sitzt erhöht im Dornengebüsch – hier Schlehe – auf seiner sogenannten Jagdwarte. Diese Position ermöglicht es
ihm, sowohl nach unten die Insektenwelt in der Blühwiese zu jagen, als auch Beuteflüge nach oben zu unternehmen.
Außerdem wird von dieser Warte natürlich das Revier beobachtet, um eventuelle Nebenbuhler zu vertreiben, und das Nest bewacht.
Es ist ein seltener Anblick, wenn man in der Brutzeit Männchen und Weibchen des Neuntöters gemeinsam sichten kann. Das Weibchen ist im rechten Kreis zu sehen, das Männchen im linken. Während das
Weibchen die Eier bebrütet, wird es vom Männchen zusätzlich mit Nahrung versorgt. Auf dem Foto ist deutlich das ideale Habitat dieser Tierart zu erkennen. Von den Spitzen der Schlehensträucher
können die Vögel schnell in die üppige Blütenwiese herabstoßen, um Insekten zu erbeuten.
Die extensiv bewirtschafteten Wiesen der Seehalde sind besonders artenreich. Nur beispielhaft bieten hier Disteln, Flockenblumen, Kartäusernelken, Klappertopf, verschiedene
Kleearten, Schafgarbe, Thymian, Wiesenwitwenblumen, Wiesenschaumkraut, Wilde Möhre und viele andere Arten mehr den Insekten und ihren Larven Nahrung und Lebensraum.
Es ist schon ein besonderes Erlebnis, einen Schwalbenschwanz in seinem eleganten Gleitflug über die Seehalde segeln zu sehen.
Der ausdauernde Flieger kann größere Strecken überwinden, so dass er sich auch in den Hausgarten oder in den Gemüsegarten verirren kann. Sofern man darin Möhren oder Fenchel kultiviert, kann es
durchaus passieren, dass er daran Eier ablegt.
In freier Natur bevorzugt der Schwalbenschwanz v. a. Doldenblüter zur Eiablage, wie Wilde Möhre, Kerbel, Kleine Bibernelle.
Der Artenreichtum an Insekten auf der Seehalde kommt nicht von ungefähr. Durch das jährliche Mähen und Abrechen des Mähguts auf den extensiv genutzten Wiesen im zentralen Bereich des Hanges wird der Boden nährstoffarm – "mager" – gehalten.
Das bietet Lebensraum für Pflanzenarten, die unter Nährstoffarmut gut gedeihen, die aber darüber hinaus bei Düngung des
Bodens verschwinden.
Diese meist seltenen Pflanzen bieten Nahrung und Lebensraum für Insektenarten, die sich auf ein Zusammenleben mit diesen Pflanzen spezialisiert haben.
Eine derartige Spezialisierung kann man beispielsweise bei der Kartäusernelke beobachten, die den sonnigen Standort der Seehalde bevorzugt.
Dort besiedelt sie die warmen Halbtrockenrasen und kann zur Blütezeit zwischen Mai und September ein wahres Blütenmeer entwickeln.
An einigen wenigen Stellen der Seehalde findet man die schöne Silberdistel.
Sie ist inzwischen so selten geworden, dass sie unter Naturschutz steht.
Ihre Wurzel reicht bis in Tiefen von einem Meter, so dass sie auch auf trockenen Standorten gedeihen kann.
Die Wurzel hat einen leicht schweißigen, regelrecht animalischen Geruch, der der Pflanze den weiteren Namen "Eberwurz" eingetragen hat.
Der legendäre Adonis – hat er nicht schon so manchem umtriebigen Jüngling (auch in Eutingen!) einen Spitznamen eingebracht.
Doch ist er in der griechischen Mythologie nicht nur ein Sinnbild der Schönheit, sondern auch der Vegetation. Und ein besonders schönes Beispiel
dafür ist das Adonisröschen.
Als der antike Adonis nämlich von einem wilden Eber tödlich verletzt wurde und sein Blut auf die Erde tropfte, entsprang dort mit Aphrodites Hilfe das liebliche Adonisröschen. Daher wird die Pflanze auch Blutströpfchen genannt.
Das einjährige Kraut war früher häufig in Getreidefeldern anzutreffen. Durch die intensive Herbizidanwendung ist es allerdings sehr selten geworden.
Es war eine große Überraschung, als wir auf der Seehalde nach vielen Jahren im Frühling 2023 einen kleinen Bestand des Sommer-Adonisröschens entdecken konnten.
Es handelt sich dabei um zwei kleine Vorkommen an einer Böschungskante, auf der wenige Pflanzen blühten.
Es gelang uns, zur Reifezeit der Samen dieser Pflanze einige Sammelnussfrüchte zu ernten und im Herbst am Standort auf größerer Fläche auszubringen. Wir werden berichten, ob unsere Bemühungen Erfolg gehabt haben.
Die organgefarbenen Blüten bieten Pollen und Nektar für Wildbienen, Schwebfliegen und Käferarten, die man bei der Nahrungsaufnahme in den Blüten beobachten kann.
Im Spätsommer 2023 ernteten wir am neu entdeckten Standort des Sommer-Adonisröschens auf der Seehalde
einige der Sammelnussfrüchte dieser Art und brachten die Einzelsamen am Standort wenige Wochen später in den
Boden ein. Diese Maßnahme erwies sich als großer Erfolg.
Im Mai 2024 ergaben mehrere Zählungen der entwickelten Pflanzen über 70 Exemplare. Das ist das Dreieinhalbfache der in 2023 gezählten Exemplare. Damit hat unsere Aktion sehr zum Erhalt dieser
sehr selten gewordenen Art beigetragen.
Die Pflanzen stehen exakt ein Jahr nach der Entdeckung in schönster Blüte. Besonders überrascht hat uns, dass nun auch gelbe Blüten zu bewundern waren.
Wir haben uns nach diesem außerordentlichen Erfolg vorgenommen, auch in diesem Jahr wieder Samen an geeigneten Standorten auszubringen und damit zur Erhaltung dieser schönen Art beizutragen.
Der Adonis Flüsterer Eberhard am ersten Fundstandort.
In der Böschung sind vier Blüten zu entdecken.
Die seltene orange Form des Sommer-Adonisröschens überwiegt...
... aber erstmals konnten wir auch gelbe Blüten entdecken. Die gab es in 2023 noch nicht.
Die Seehalde soll in ihrem ökologisch wertvollen Zustand erhalten werden. Dafür sind aufwändige Pflegemaßnahmen notwendig. So müssen immer wieder die Schlehen zurückgeschnitten werden, damit der
Hang nicht in wenigen Jahren komplett verbuscht.
Die Blühwiesen brauchen eine jährliche Mahd. Danach muss das Mähgut abgerecht werden. Die Wiesen sollen nämlich ihren mageren Charakter behalten. Durch das
Abrechen wird den Wiesen der düngende Stickstoffeintrag aus der Atmospähre entnommen.
Dabei ist es von Vorteil, vereinzelt Inseln oder Streifen nicht zu mähen, sondern als Rückzugsbereiche für die Tierwelt stehen zu lassen. Das sorgt auch für ein Ausreifen
der Pflanzensamen, sodass sich die Wiesen immer wieder verjüngen können.
In diesen Schutzflächen können auch Eier, Larven oder ausgewachsene Insekten überwintern, um im Folgejahr die Flächen wieder neu zu besiedeln.
Unser besonderer Dank gilt daher dem Sondereinsatzkommando des NABUs Eutingen, das mit viel Sachverstand und technischem Geschick diese Aufgaben erledigt, sowie den
zahlreichen Helfenden, die immer wieder spontan bei den Arbeitseinsätzen mit anpacken.
Die folgenden Fotos zeigen Uwe im Führerstand des Hangmähers, wie er in die ökologisch wertvollsten Bereiche der Seehalde hineinmäht.
© für alle Fotos und Texte: Klaus Feske/ www.geoclick.de